Bien und Milb (2) (genetische Vielfalt)

Theoretisch ist es denkbar, dass Apis mellifera durch die Varroa-Milbe ausgerottet würde, wenn der Mensch die Bienen nicht behandeln würde. Wenn unter allen im Genpool beider Arten vorhandenen Kombinationsmöglichkeiten keine dabei wären, die das Überleben möglich machen würde, dann wäre die Populationsgenetik an ihre Grenzen gestoßen. Aber alle mir bekannten diesbezüglichen Untersuchungen deuten in die andere Richtung. (Gotland, Südafrika, behandlungsfreie Imker usw.) D.h. wenn die Behandlung unterbleibt, gibt es nach großen Verlusten eine Stabilisierung und anschließendes Wachstum bis zum Ausgangsniveau. Eine wichtige Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit unter veränderten Bedingungen ist eine möglichst große genetische Vielfalt der Population. Nur dann kann das freie Mendeln der Gene die im Zweifelsfall benötigten Konstellationen hervorbringen.

Die genetische Vielfalt im Genpool der Milben dürfte dadurch eingeschränkt sein, dass die Befruchtung in der Zelle stattfindet und dabei sich dabei in der Regel die Nachkommen der Muttermilbe miteinander verpaaren. Ausnahmen gibt es nur bei mehrfach parasitierten Zellen. Das Durchmischen des Genpools der Milben ist durch die Inzuchtlinien eingeschränkt. Dennoch gibt es auch hier genetische Variationen, die dann überwiegend vertikal weitergegeben werden. Und da wären dann unter natürlichen Bedingungen „mildere Milben“ im Vorteil.

Während bei den Milben die genetische Vielfalt durch die klonartigen Inzuchtlinien eher eingeschränkt ist, gibt es bei Apis mellifera das gegenteilige Phänomen: In der Praxis gibt es folgende Fälle:

  • 1) Eine Königin wird von 5-10 Drohnen aus mehreren Kilometern Umkreis befruchtet. Damit ist unter „normalen“ Umständen eine regelmäßige Durchmischung (= Auftreten vielfältiger Kombinationsmöglichkeiten) gewährleistet.
  • 2) Bei den Imkervölkern gibt es darüber hinaus zu Zuchtzwecken belegstellenbegattete Königinnen. Diese wurden in Abwesenheit anderer Völker nur von „Zuchtvölkern“ begattet (= geringere genetische Vielfalt).
  • 3) Außerdem gibt es die manuelle 1-Drohn-Besamung der Königin durch den Menschen (noch geringere genetische Vielfalt).

In der Praxis und in der Fläche dürften diese unterschiedlichen Vermehrungsformen zu einem Flickenteppich aus „gezüchtetem“ und „natürlichem“ Genmaterial geführt haben. Hinzu kommt der Import von Bienenrassen anderer Regionen und Kontinente. Meines Wissens gibt es keine Untersuchungen darüber, in welchen Umfang der Genpool von all diesen Faktoren geprägt wird. Die Bienenrassen „Carnica“, „Buckfast“ (Zuchtrasse) und und ev. Reste der (ursprünglich einheimischen) „dunklen Biene“ gibt es in Deutschland. Und vermutlich ein kunterbuntes Gemisch im jeweiligen Umfeld.

Viele Imker vermehren mit Brutablegern und kaufen weder Völker noch Königinnen. Bei denen läuft es wie unter 1.) beschrieben. Hier stellt sich automatisch ein regionaler Gen-Mix ein.

Ich gehe davon aus, dass die Zahl der natürlichen Bienenwohnungen in den letzten 2000 Jahren kontinuierlich abgenommen hat und die Zahl der menschengemachten Bienenkästen dafür spätestens ab dem Mittelalter zugenommen hat. Wahrscheinlich war die Römerzeit der letzte Zeitraum mit überwiegend baumhöhlenreichen Urwald in Deutschland und wahrscheinlich hat seit dem die Zahl der heimischen Urwälder stetig abgenommen.

Der züchterische Einfluss dürfte heute größer sein, als jemals zuvor. Trotzdem wird auch heute der Genpool nicht ausschließlich von den Züchtern gestaltet.

Apis mellifera war bis zum Auftreten der Milbe eine Species, die 1.auch ohne den Menschen prima zurechtkam. (Nur an brauchbaren Höhlen mangelt es.) und 2. Den Genpool mit ihren wilden Verwandten teilte. Darin unterscheidet sie sich von anderen Haus- und Nutztieren.

Die genetische Vielfalt ist eine wichtige Voraussetzung für das Überleben unter veränderten Umweltbedingungen. Die genetisch bedingte Ausprägung unterschiedlicher Merkmale gibt der Population die Möglichkeit, Merkmalskombinationen hervorzubringen, die für das Überleben der Art wichtig sein können. Die Potentiale eines vielfältigen Genpools zeigen sich in Krisenzeiten. Merkmale die sonst keine Rolle spielen, können auf einmal Bedeutung gewinnen. Wichtig ist, dass aus einer vorhandenen Vielfalt ausgewählt werden kann. Vielfältige (scheinbar unnütze) Gene sind wie ein Werkzeugkasten, auf dessen einzelne Instrumente die Natur bei Bedarf zugreifen kann.

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